Respice finem – I: Trotz

Respice finem: Trotz ist der erste Teil des dreiteiligen Gedichts Respice finem: Trotz — Taub — Tod (Teil II, III).

La Porte de l’Enfer, Auguste Rodin

Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Erschrak –
wie in einer Flut voller Gedanken.
War wütend.
Wegen einer Berührung …
Wie wenn sich eine feine Welt dreht: wie plötzlich!
Wie wahnsinnig freute ich mich.
Es war Ludwig.
Wie schön ein Gesicht werden kann ...
Musste mich für einen Moment zusammennehmen.
Als würd man sich verschlucken … lassen wollen.
Die letzten Körner in der Sanduhr.
Er beugte sich über mich und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Wie zwei Tage zuvor: beim Abschied, im Dunklen.
Unter unserem alten Kirschbaum.
Dann setzte er sich neben mich – auf einen Stuhl:
den gleichen wie damals.
Erinnere ich mich wirklich?
Sein feiner Mund passte so gut
zu seinem Gesicht. Mit dieser schönen Nase.
Und diesen durchdringenden Augen. 
Er bat mich um Entschuldigung.
Hatte sich wohl verspätet. Das sei nicht seine Art.
 
Hallo, du Nachtfalter … kannste auch nicht schlafen.
Kukke wie ein Tier an die Decke.
Und empfinde nichts.
Warum es nicht endet.
Wollt nur hörn, wie du deinen Geburtstag verbracht hast.
Hoffe, es dir gut.
Und mach dir keine Gedanken:
Du redest nicht immer von dir!
 
      … wo bleibe ich, wenn die Flüsse ertrunken sind …
     Wenn die Blume weggegangen ist …
     Wenn Beete bluten im giftigen Wind.
 
Muss jetzt aufhören.
Mach’s gut.
Meld mich wieder,
als würde es einen morgen und einen Mittag dazu geben.
 
… dass ich zehn Metaphern meiner Seele zeige …
„Welche Demütigung, wenn jemand neben mir stund
Und von Weitem ein Kontrabass hörte
Und ich nichts hörte
Oder jemand den Hirten in der Ferne singen hörte –
Und ich auch nichts hörte.
Solche Momente brachten mich nahe ans Verzweifeln.
Es fehlte wenig und ich endigte selbst mein Leben.“
 
Das Herz eines Menschen ist wie die Seele einer Blume.
                                     (Anklänge von „Für Elise“)
 
 
… Hab heute 24 Geburtstagskarten vertont – eine Note
     schöner als die andere - und anderthalb Flaschen Wein gesoffen.
… Mein lieber Freund, es ist alles aus mit mir!
… Kann nicht aufhören zu saufen.
… Hol mir immer neue Flaschen Wein, die billigen,
     beim Spittel am Kohlmarkt.
… Der Typ kann mich nicht leiden, ich weiß auch nicht, warum.
… Wann ist es endlich zu Ende mit mir!
 
                                    Im letzten Buch, das er gelesen hatte,
                                    sagt der Freund des Hauptdarstellers,
                                    der auch sein (Beethovens) Freund sein könnte,
                                    weil der sich auf herrlichste Weise zu verbergen weiß,
                                    dass er nichts mehr vom Leben erwarte. (lacht dabei)
                                    Das tue ihm gut.
                                    Eigentlich haben wir uns alle nichts zu sagen.
 
Unerträglich stickig ist es. Selbst. Im Schatten.
Mein Schädelschmerz verrät mir,
dass es bald gewittert.
Seit wann spüre ich eigentlich,
dass mich nichts mehr interessiert?
Sehne mich doch immer so nach
ein wenig Regen im Sommer.
Und dass ich etwas enttäuscht bin …
dass er mir noch mehr Atem nimmt.
Sehne mich nach deinem Schnee …
Den du nie mitgebracht hast
zwischen deinen zusammengeballten Händen.
… wo wir reinkriechen könnten.
Gib mir einen … Regenkuss …
einen einzigen oder flüchtigen nur
und lass uns tanzen:
um unser Noch herum.
 
Wo bist du, Liebste, nur?
Wo bist du, Lieeebstee, nur?
 
So ein Quatsch. Das alles!
Warum kann es nicht beim Verlieben bleiben?
Gott ist ein scheiß Dramaturg.
Ist das der Gott, achgott,
den du immer noch anbetest,
wenn es dir schlecht geht?
Mein Engel, dann hätt ich den ganzen Tag
nichts anderes zu tun.
Außerdem dachte ich, er wäre längst im Suff versoffen.
Diese Zecke.
Weißt du: Er hat viel, zumindest bei mir,
von seinem einstigen Ansehen verloren.
Und ich dachte noch,
der stirbt nie!
Nicht mal im Kerzenschein.
Unter Fliegen sich schlafen legen.
Die Spinne wiegt halb tot sich …
gelassen … im Wind.
Was seid ihr alle doch für komische Lebewesen.
     
                       (einige Töne von Arvo Pärt oder Chuck Berry „Roll over
                       Beethoven“)
 
Die Kutsche steht seit einiger Zeit still. Sie atmet.
Auf freier Strecke. Weite Felder in sich ein.
Sicherlich mit vielen Farben … hätt‘ ich wohl
gesagt, wenn ich blind geworden wäre.
Aber das Auge leuchtet.
Nach deinem ganzen Leib. Gierig.
Wenn du so vor mir stehst – einen Kopf kleiner –,
würd ich am liebsten ‘nen Schritt zurückgehn, um
deine vollkommenen Formen zu genießen.
Ich bilde mir ein, dir immer näher zu sein.
Auch wenn wir uns nie wiedersehen werden.
Vielleicht …
                   … meine kleine Kantianerin:
       Zermalme sie weiter!
                  Dein L.
                  (Karlsbad wird uns guttun – oder zerreißen!)
 
                                   Du willst nach Hause.
                                   Ist das dein freier Wille?
                                   Ich kenn mich da nicht so aus.
                                   Ich schreie doch nur,
                                   weil du mich und dich und
                                   unser Kind in deinem Bauch verrätst.
 
Ein Geflüster hinter meinem Rücken ??
Wie eine Seele?
Die die deine sein könnte.
Menschen leben manchmal ungekämmt vor sich hin.
Und waschen sie sich tagelang nicht.
Lass sie doch mal sprechen!
 
Erklär mir … deine Eifersucht.
Erklär mir … deine Korrekturen an meinen Beleidungen.
Erklär mir … warum du einen Diener eingestellt hat, der keine Arme hat …
Erklär mir … warum du lachst wie eine Puppe ...
Erklär mir … dein Dich-nicht-um-den-Atem-bringen-Wollen.
 
Ich bilde mir ein, Ludwig wegfahren gesehn zu haben.
So nah, wie das Leben selten ist.
 
Ein Geflüster hinter meinem Rücken …
                                               Nein, es ist nicht hinter deinem Rücken.
Ja, hast recht, ist in meinem Bauch.
                                                Nein, es ist nicht in deinem Bauch.
 
Doch, Antonie, gestern in Prag war es noch nicht da …
                                                Wie kann man ein Hotel nur „Zum Auge Gottes“
                                                nennen?
     
Bleib doch mal stehen.
Dreh dich doch mal zu mir um.     
Wo willst du denn hin?
                       
                                                Es ist in meinem Bauch …
 
Was?
                                                Das Gefühl.
 
Es ist kein Schmerz.
Wenn nicht alles ein Schmerz ist.
 
                              Es ist mein Schmerz, Ludwig, später …
     
Du sollst keinen Schmerz …
 
                              Weil es unsere Lust war. Nur unsere!
 
Angebete, lass das! Ich mag dich so nicht.
Du wirst so einfach.
So wie alle andern.
 
                              Hörst du mir nicht zu?
                              Ach, was rede ich.
                              Du hast mir noch nie zugehört.
                              Schau mir nicht so auf den Mund.
 
Du bist es doch …
Du stierst mir doch
mit deinen feuchten Lippen
auf den Mund.
 
                              Nein, bin ich nicht. Mach ich nicht.
                              Und feuchte Lippen hab ich auch nicht.
 
Lass uns zusammen sein.
Lass uns zusammen ziehn.
Auch wenn ich nicht alles von dir: verstehe.
 
                              Geht nicht!
 
Deine Stimme ist so anders.
Spür’s an deiner Haut.
Sie wird so herb.
Dabei hab ich dich noch nicht mal berührt.
 
                              Es geht nicht, mein verkommenes Genie.
                              Es geht nicht. – Ich bekomme ein Kind.
                              Und du weisst: du lebst in deiner eigenen Welt.
                              Du brauchst nur dich!
 
Mit Liebe geht alles, meine Angebetete.
 
                              Ich verlasse meinem Mann nicht.
 
Den du nicht liebst.
     
                              Lass meine Brüste los, Ludwig, bitte!
 
Es ist mein Kind
Und die Milch darin auch.
 
Du willst … unser … Kind.
Unser Kind … hergeben.
In deine … nur deine Welt.
In ein Getue!    (Getue … = Echo)
 
                              Ludwig. Du tust mir weh.
 
Hätt dich also nicht nehmen solln?
Bedeutet dir deine Lust also nichts.
Deine kleine Vernunftlust.
 
                               (aus dem Off: Baubo! Baubo! Baubo …
                               Unterlegt mit klassischer Musik)
 
Ich will dich doch … so sehr …
Du kleine Hure.
     
                        Du tust mir weh.
 
Du mir etwa nicht …
 
 
Heute Morgen, aufgewacht, fühlte ich mich
benommen und verdammt mies.
Wie betrogen.
Mein Leben bestiehlt mich.
Wie nach einer durchzechten Nacht.
Mund: ausgetrocknet.
Malade. Schimmlige Butter innen Knochen.
Wie vom Baum gefallen.
Aufstehen – schnell … weg da …
Aber warum?
Die Rache der Wirklichkeit.
… Der Tag zieht mir sein Narrenkostüm an.
Gesetz.
Freunde.
Gesetz!
 
 
Solange die Tränen deine Buchstaben aussaufen.
Solange die Haut nicht anders soll,
als dein Lachen zu verfolgen.
Wie in ein Vergehn.
Wie in ein Versehn.
Wie hältst du das bloß aus
in deinen ungewaschenen Silben?
Und unter diesen Menschen.
Mal dir … wenn ich so weit bin …
die Sonne innen Kopf …
Gehirnstrom und so …
Es geht alles: wenn du dich unglücklich fühlst:
Vielleicht sind es nur Drähte, die uns zusammenkommen lassen?
Vielleicht sind es nur Drähte, die mich selbst zusammenhalten?
Schön angeschlossen, also
lass dich umarmen.
 
Wieso sprechen?
Wieso hören?
Immer nur ein bisschen lieben.
Alles in überschaubaren Dosen.
Momente sind wie kleine Mädchen.
Zart. Wollen immer geküsst werden.
Wie ich.
Auch wenn sie sich wegdrehen.
 
 
                                                                                 Schmier dir dein Elend selbst ins Gesicht.
                                                                                                                  Aber warum nicht ??
                                                                                                         Komm her, du Träumer …
                                                                                                         Ich reiss dir den Arsch auf.
                                                                                                                   Eine andere Sprache
                                                                                                              verstehst du wohl nicht.
 
Eigentlich bist du mir nie begegnet.
Und nun höre ich deine weiche Stimme
Nie wieder in meinem Ohr.
Nicht mal mehr mit ein wenig Spucke.
Wenn du mich ansiehst
und zu mir sprichst …
Früher war mir, als seist du dabei eine
Schattenmorelle gewesen …
Zum Reinbeißen und Abschlecken.
Doch seit einiger Zeit ist alles anders:
Wie zerquetscht.
Und der süße Saft der sauren Frucht
spritzt über dein Gesicht.
Wie halb gefrorenes Blut.
Ich will es immer noch aufschlecken.
Viel zu wenige Zungen hab ich dafür …
Aber du bewegst deinen Mund immer weiter weg von mir.
Wie ein Buch aufschlagen und an einem Wort
hängen bleiben … wie an einem Rosendorn.
Ich kratze meine Seele
wie ein Zittern übers Papier.
Ein Lustschmerz.
Als hörte ich unsere Liebe
wie über Kratzpapier streifend … davonkriechen.
Gänsehäutig.
Und dann zermalmen deine Schritte meine Vielleichts.
Schau aus dem Fenster und sehe
dein Windhaar.
Es kitzelt meine Zunge – immer mehr
bloß noch als ein Erinnern.
Wie in einem luftleeren Raum.
Mittendrin so etwas wie ich.
Ohne Anfang, rein hautlich betrachtet,
und ohne eine einzige Pore noch.
Bekomme keine Luft mehr.
Es schwindelt mich.
Als würd ich kopfüberstehn.
Und plötzlich, mit einem Mal,
lässt mich irgendwas einen Luftzug nehmen,
und ich fühle mich nicht ganz verloren …
ganz ausgeliefert:
dem Tag, den Blicken, der Scham.
„Sprecht lauter, schreit. Denn ich bin taub.“
 
Muss nun von euch weichen.
Zum Glück läuft mir hin und wieder noch
die Nacht hinterher.
Mit frisch getropftem Wachs verbrennt
sich die Stille ... die nach außen,
mit Ohr ein feines Blätterrauschen wär‘.
Nach innen aber wütet und
zerrt alles sich entzwei und zerfetzt
mir fast die Haut.
Mit diesem Wachs zwischen unseren Lippen
warte ich auf den ersten
wärmenden Tropfen.
                       Ich schaff es nicht, mich zu entleiben!
                       Ich schaff es einfach nicht!
 
2 Stunden später: die es nie wirklich gab.
Es ist heiß und schwül.
Und du sagst mir:
„Vielleicht ist die Vernunft gar nicht mehr zuständig für mich.“
                       Ich weiß, in deinen Augen bin ich seltsam.
                       Du siehst mich auf jeden Fall so an.
                       Und du lächelst nicht mehr so.
                       Wie zu Anfang unserer Wollust.
                       Es wirkt alles so verschlüsselt.
                       So gekünstelt.
                       Meine Vielleichts sind nicht müde.
                       So wie ich.
                       Der ich lebe, immer mehr,
                       in meinem Aufbegehren. Meiner Wut … uuuhhh
 

Teil II