Respice finem – II: Taub

Respice finem: Taub ist der zweite Teil des dreiteiligen Gedichts Respice finem: Trotz — Taub — Tod (Teil I, III).

La Porte de l’Enfer, Auguste Rodin

Wie du dir denken kannst, sitze ich gerade aufm Speicher.
Das Erdbeben hat uns verschont.
Es ist nichts eingestürzt. (lacht)
Schließlich leben wir nicht
in Lissabon und es ist auch nicht anno 1755.
In jedem Zimmer ist die Tapete zwischen
Wand und Decke zwar eingerissen und ein Loch klafft …
Hier oben im Treppenhaus hin zu meiner Audienz …
… das schönste Zimmer, das ich je hatte …
Fast wollt ich sagen: das schönste Frauenzimmer uuuhh (lach).
Ist zum Glück nur der halbe Putz abgefallen.
Freigelegt sind nur die strengen Balken,
die das Ganze zusammenhalten.
Es kächzt hin und wieder noch.
Die Götter haben ihre fettigen Finger
Überall und immer im Spiel.
 
            (Eine Mundharmonika ist von Weitem zu hören.)
 
 
Wie mein Herz, das keine Lust mehr hat
auf deine Metaphern.
Doch wir leben einfach weiter:
auf Trost.
 
Es will sich einfach nichts mehr fügen.
Und der Tag – morgen vielleicht schon wieder –
Hinterlässt immer mehr an Leere.
Das allmähliche Vereinsamen hält dir
auch die andere Wange hin.
Aber dein Unterleib …
Dein Unterleib ist die Vermeidung von Liebe. 
Es ist alles so hinterhältig.
Um das zu begreifen = später …
Oder jetzt schon:
Es gibt halt keine 2 Menschen,
die sich lieben für die Freiheit.
Deine weiche Hand liegt
In meinem abgefressenen Gesicht.
 
Die Zeitlichkeit deiner Haut
ist unantastbar.
Faltenmöse.
Die unendliche Einfühlsamkeit
beim Berühren
eines anderen Gedankens.
Steinway wie Adler.
Ein einziger Schlag hebt dich drüber hinweg,
die Titelfigur deines eignen Lebens zu sein.
 
Als du davon erzählt hast,
wusste ich,
dass die unheimliche Schwärze
des Flügels dich berührt hat.
 
 
Damals schon hab ich mir einen andern Himmel gewünscht.
Und jetzt!
Seltsam fühl ich mich endlich wohl
in deinem abgerungenen Lächeln.
Zerfahren wartest du wohl nur auf dich!
 
Du weißt.
Ich interessier mich mittlerweile für dich.
Ein unanständiges Haar vom Kinn abzupfen.
Liebe.
Wie ein wärmender Tropfen.
Erinnerst du dich noch an den Himmel?
Als er keine Farbe hatte.
Und wir lebten immer …
nebeneinanderher.
 
Ein Zerhämmern der Lust. Aufs Leben.
Wie wenn man sich selbst ein Bein stellt.
Wie ich deinem Gesicht verfiel.
Und nun: trozzt du meiner Gülle
im Subjekt-Objekt … ach scheiss drauf.
Oder sollte nie mehr was sagen?
Der Rest fällt auf dein Gesicht.
Wie Schnee, den du vorm Verschmilzen
retten willst …
Deine letzte Erinnerung: zugedeckt.
 
Mit einem feurigen Temperament geboren.
Und dann hasst du sie:
Dieses Sonnenstrahlen, diese Sonnenmenschen,
diese Sonnenschaukler.
Auf meine Haut kommt keine nackte Elfe vom blauen Himmel.
Später kriegt die auch noch Brüste.
Ach Gott.
Es war sonst schon zu viel möglich.
Wär‘ ich doch ohne Ohren auf die Welt gekommen.
Aber wie soll ich sie dafür hassen:
Meine Mutter kann doch nichts dafür.
 
 
Es regnet in Strömen. Und bald
werden wir zu alt sein, um
von Liebe zu sprechen.
Am Ende der Dachrinne sammelt sich
das Regenwasser. Läuft über. Und
platscht auf … im Irgendwo.
Die Luftbläschen sehn wie kichernde
Erbsen oder Emojis aus, die ein
Halbgott angemalt hat.
Aus dem offenen Fenster verirren
sich einige Tropfen ins Zimmer.
Fast in meine Nähe.
Sie landen auf den Seiten, die für dich
eingekratzt warn … mit Tinte.
Sie verwischen Buchstaben.
Vielleicht ganze Wörter.
Nie aber: dich.
Bis das Fenster sich  von ganz alleine schießt.
Diese vielen Stimmen.
Es gibt so viele schöne von ihnen.
Wie die des Windes.
… des einsamen Windes …
 
     
Das Leben ist nicht mehr lange bei mir.
Als Spazierstock vielleicht – oder als Regenschirm.
Es wird mal – ich spür’s – einen berühmten
Philosophen geben, der ihn vergessen wird.
Es gelingt mir nichts mehr.
An Liebe oder so.
Ich weiß nicht mal mehr,
ob ich die Sonne mag.
Selbst meine Haut stellt sich diese Pfrage.
Oder wenn sie weint.
Das Licht ist manchmal zu fein,
um zu lügen.
 
                                                 Hab deinen Lieblingskuchen gekauft.
                                                 Hab mir den Mantel noch mal angezogen.
                                                Vielleicht schmeckt er dir ja noch?
                                                Woran denkst du?
     
             Das Einsilben eines letzten Gefühls.
             Vielleicht ist das Leben die falsche Form für mich?
     
Vermisse meinen Mozart:
Nicht sein Frei-wovon.
Sein Frei-wozu!
     
Versteh nur nicht, warum er seine Base
immer nur in den Arsch ficken wollte.
 
 
Es stinkt alles so nuttig.
So fremdbestimmt.
So ich-verlogen.
Das Ich ist nur zum Verblöden da.
Um Zeit zu gewinnen, versuch ich, nichts
zu erkennen.
Meine Lieblingserkenntnis.
      Was machst du, wenn einer stirbt, mit deinem Atem?
Man darf nicht länger als 45 Minuten …
oder 45 Jahre … über den Tod eines geliebten Menschen trauern.
Ob geboren oder ….
 
            Geliebt?
            Bis die Knochen ihr Mark ausspucken.
 
                                                 (Musik von Dr. Viossy:
                                                 Moohlight Sonata)
     
Wie in deinem Bauch … das Meine.
Ein Lebewesen aus seinem Mark herausschneiden!
Gäb sie mir das doch alles.
Gäb sie mir das doch alles,
meine Musik!
 
                                   Was macht das Schicksal mit uns.
                                   Soll ich dich mit in meinen
                                   Atem schließen?
 
Ist immer mehr immer mehr immer
klarer immer klarer:
Eine Demütigung:
45 Minuten wie 45 Jahre.
 
            Immer wieder dieselben fein abgewischten Gesichter.
            Widerst du dich immer noch an …
            Oder lieben wir uns … nie mehr.
                       
                                                          Doch. Ich dich.
 
Seitdem du mich aus der Ferne beäugst.
Seitdem du mich zu wenig berührst:
Sind die Kühe nachts auf der Weide noch bunter als am Tage.
 
            Deine Seele: sie sehnt sich.
 
            Was vermisst man nach dem Tod am meisten:
            Die Stimme …
 
So lebe ich seit Jahren im Tod.
Ihr Besserwisser. Ihr
Toten im tagtäglichen Tagein-tagaus.
 
Ab nun werd ich mich …
an euch vorbeistehlen …
Mit noch mehr Wein …
Ihr könnt einen Arzt holen,
der meinen Unterkiefer heraushängen soll.
 
Aneinander vorbei sich (ver)lieben.
Aneinander hängen,
bist der Atem euch erstickt.
Ist es ein Gesetz,
aneinander vorbei zu leben?
 
                                             Sie hat dich nie verlassen:
                                             Nie so wirklich.                       
                                             (so wie ich mich selbst nie verlassen könnte)
 
Paule, ein Berliner, den ich letzt
im Puff kennengelernt hab,
hab ich kaum verstanden:
Ich weß dasse Leben sähen willst,
aba dasss wollnse alle …
Also setz dik hin un wi lassn uns
späta gemeinsam vom hof trahn.
Ick kenn da 2 späsialistn,
die machn datte schohn
Komm …
hasse überhaupt noch verfüjungsjewalt
über den körrppär von dijr.
Mann, du biss ja so was
wie nich von diesa Wält.
 
 
Selbst wenn ich dir den Unterkiefer
wieder einrenke.
Du wirst nie was zu sagen haben.
Beim Sprechen müsste man sich ja bewegen.
Zumindest im Hirn.
                                  (Nenn mir das Jahr, als sich Hirn und Stimme
                                  voneinander verabschiedet haben. Bitte.)
 
 
Hab keinen Gehrock, wenn einer geht.
Bin mit meinem alten Frack aufgewacht:
Passt zu keiner Beerdigung.
Jedes Aufwachen ist eine Beerdigung.
Ich komm nicht zu deiner Befreiung.
 
Von deinem gestrigen Mund aus …
tauch ich auf.
Nichts verkommen lassen.
Um Zeit zu gewinnen:
Nichts erkennen lassen.
 
Mit einer 45-minütigen Demütigung
musst du dich abfinden:
Aus dem eigenen Mund auftauchen.
Wie fein du riechst.
Als wärst du nie deinem Atem selbst begegnet.
 
Schneid dir etwas Liebe ab.
Dem nahen Zusammenbruch des
Geschwätzes: Mund öffnen und hören,
ob dein Ohr einstimmt.
Mich aus deinem letzten Liebesbrief,
den du mir so eiligst hast zukommen lassen,
der Bote war völlig durchnässt,
rauskratzen.
Deine Tinte wegkrächzen, Eleonore.
Meine nur noch halb Verrückte.
Oder bin ich nur noch halb verrückt nach dir?
Mit meiner Halbvergöttrung schick ihn dir zurück.
Jetzt, endlich, sieht es aus,
als hättst du nicht mit Herzblut geschrieben:
sondern mit bloßer Spucke.
Lass uns brechen gehn
 
Mag deine Nähe.
Wenn sie nicht zu nah ist.
Allmählich schlüpft das Licht
gegen das Gebinde, das der Gärtner
mir gegen die Sonne vors Fenster gebündelt hat:
es traut sich noch nicht.
Es grinst durch die Rizze.
Es bat mich bis jetzt noch nicht
um Entschuldigung.
Sein Blick ist so tief.
Unter der Haut begegnen.
Wie nicht sprechen.
Deine Zunge abbrechen.
Eiswürfel - wie wenn du deine
Grammatik einteufelst.
 
Sandkörner zwischen den Zehen.
Sandkörner zwischen deinen Sätzen.
Säzzt man sich eigentlich aus?
Dein Geburtstag war entsetzlich.
Keiner mag sich.
Tanzen wie Holzwürmer,
die aus ihrem Versteck rauswinseln.
Bei Wärme: wie dein Gedinge.
Den Abschied wirst du nicht verhindern.
Auch nicht auf zwei Gleisen.
 
Jede Begegnung ist ein Abschied.
Ohne Blumen kaufen zu müssen.
Wie wenn du dich verlierst.
Später: kein Warum.
Es schmerzt dein Finger.
Die Geige holt sich deinen Schmerz …
Mit jedem Stück verabschiedest du dich.
Vom Egal da draußen.
Oder?
 
Trau mich nicht mehr,
dich zu berührn.
Scharf wie eine Klinge
würdn meine Fingernägel deine Haut rizzen.
     
                      Kommst du mir noch nah.
                      Diese Langeweile.
                      Dieses Auseinanderleben.
                      Dein Gesicht.
                      Es war doch nie ein Blut-
                      Verströmen. Außer innert.
                      Oder ein sich ineinander Verhaken.
 
                                              Würd dich nie verlassen!
 
Ich weiß: spürs aber zu selten.
Es wartet nur ein Einziger auf mich.
 
                                              Wir sind herumgeschlichen.
                                              Um uns.
                                              Um die, die uns liebten.
                                              Wie zwei Verhungernde.
                                              Wie zwei Verhängnisse.
 
Mein dionysischer Teufel in mir will nicht mehr
bloß einen Satz mit einem Punkt beenden.
                 
                                              Deshalb, mein Nahster je, können
                                              Wir nie nie neimals zusammenbleiben.
                                              Muss … nun … geheeen.
                                              Für immer.
                                              Das weißt du.
                                              Vielleicht auch nicht.
                                              Aber du spürst es.
                                              Wir … spüren es.
 
Wir?
                                              Adieu.
 
Gib mir noch
deinen Schal.
Oder sonst was.
Damit ich mich umarmt fühle.
Gib mir …
Ausgerutscht …
Auf unseren Sehnsüchten.
Und nun verunglücke ich
immer wieder – im Erinnern.
Du bist so eine Feine.
Vielleicht zu schön für mich.
                                              Solange alles eine Art
                                              Liebesbrief ist … und … bleibt.
 
Versuch's noch mal. Ich nähe uns nichts an.
Ein Vernichtungsatem – mehr war's doch nicht.
Für dich.
Meine kleine Hure.
Wie wenn ich deine letzte Berührung
nie vergessen hätte.
Muss ja nicht gleich ins fremde Komma führen.
Dummes Schreien
wie ein Kind.
Dieses Nadeln deiner hysterischen Stimme
mitten in meinem Öhr: es ist kein
Motherfucking-Syndrom.
                                              Sondern.
 
Ein Absondern.
Seinen Lieblingsmenschen zurückhaben wollen.
Also gegen den Tod und das Leben wüten.
Sich nicht mehr aufrechterhalten wollen.
Der Sonne gelingt es nun wirklich nicht mehr,
an meine Haut zu kommen.
Kriechen.
Okay.
Die letzte Nacht auf dem Bahnsteig
war gar nicht so lang. Es ist mitten im Jahr,
noch vorm heiligen Thomas.
Da wird‘s frühs hell.
 
Mein warmes Herz:
Versteh es allmählich.
Wie in mich eingeliebt.
Du als Himmelsfurche.
Lässt einfach deinen Kopf auf meine Brust fallen.
Und glaubst wohl,
damit einen Flügel in mir zu fiedern.
Glaubst deinem Ohr,
dass wir laut flatternd davonfliegen.
Deine Arme baumeln wie im Seewind
Und fangen meine Sehnüchte auf.
Es ist bald Mitternacht
Und alles so violinenhell.
Alles dreht sich … dreht sich … dreht sich …
 
 
Meine Oberlippe versagt manchmal
schon nach drei Flaschen schlechten Weins
der Zunge ihre Alltagssprache.
Die Unterlippe spuckt höflicherweise alles aus.
Bis zum Sabbern.
Manchmal wird sie zu lang angeschaut:
Du Unterlippenverförmling
als Nachkomme
deiner verschwiegenen Drosselung.
 
                                    Erzähl mir noch mal was von deinem letzten
                                    Schnee … Landete er auf deiner Zunge?
 
Vermisst meine Stimme.
Warum geschieht das Heimliche heimlich?
Wie das Leben?
 
                                               B. kommt sich manchmal vor wie
                                               ein Klöppel zwischen zwei Metallblechen
                                                (Bild: Nitsch oder Faatz
                                               Ein Hin-und-Herklatschen, bis Blut sprizzt).
 
      
Wenn zwei Tropfen auf dein Abendmahl tropfen.
Sauce de coeur mit klein wenig Existanceee.
Hätt freilich lieber Kant getroffen …
als diesen selbstverfickten Goethe.
Ans frische Fleisch hängt doch
vielleicht jeder.
Er hatte es. So mein Neid.
 
Hab nun 30 Jahre Ontologie zerstört.
Und weiss immer noch nicht,
wie man vögelt.
 
Die Luft war so rein.
Das Wasser aus der Tiefe schmeckte köstlich.
Ich glaube manchmal: die Vögel zwitschern echt.
Obwohl wir keinen Wein tranken.
Wenn man so taub …
täublich ist wie ich,
dann hört man, wie es die Kehle runterrinnt.
Wasser. Wein. Der eigene Speichel.
Wie ein Rauschen.
Ein Lebensfall.
Lebenszerfall.
Goethe behagt die Hofluft sehr.
Er ist ein Einzeller.
Es roch gar sehr seinen eigenen Furz.
Beim Essen: obwohl er so tat, als sei
nichts verwesen.
Er war, wie sie nun mal sind, diese Virtuosen:
Lächerlich.
Er meinte zu mir, ich würde … ich liebe Konjunktive:
            weniger aber alte Männer, die sich nicht
            in junges unschuldiges Fleisch verlieben,
            sondern nur haben wollen …
egal … Goethe meinte, ohne mich anzusehn,
ich würde die Welt destinabel finden …
und damit weder für mich
noch für andere
genussreicher machen.
     
Es wird eine Zeit kommen, da wird sein Faust
Zu einem Fäustchen verkommen.
Dachte ich nur.
 

Teil III